Glücklicher ohne Gott
In dem Christenstaat
USA bilden Atheisten inzwischen eine geächtete Minderheit. Doch nun wehren sich
Evolutionsbiologen und wollen den Menschen den Glauben austreiben. Ihre These: Religionen
sind das eigentliche Übel unserer Zeit.
KULTURKAMPF
Richard Dawkins, Zoologe von der Oxford University, tritt vor den
Altar, genießt den Blick auf die vollbesetzten Kirchenbänke und sagt in
feinstem Englisch: „Der Gott aus dem Alten Testament ist ein frauenfeindlicher,
homophober, rassistischer, völkermordender, sadomasochistischer, unberechenbar
bösartiger Tyrann."
Zuerst tost Gelächter
durch das Gotteshaus, dann klatschen die 600 Zuhörer in die Hände. Das
Spektakel, das vergangenen Donnerstag in der First Parish Church im
amerikanischen Cambridge stattfand, war das Gegenteil eines Gottesdienstes:
Hier predigte einer, der den Leuten den Glauben austreiben will.
Richard Dawkins ist ein
glühender Anhänger der Evolutionstheorie. In zahlreichen Büchern hat er sie
einem Millionenpublikum erklärt. Jetzt, im Alter von 65, legt der Professor
sein Vermächtnis vor: „The God Delusion" heißt das Werk - die
Wahnvorstellung von Gott**.
Mit der Beflissenheit eines Naturwissenschaftlers legt Dawkins
dar, warum es „fast sicher keinen Gott geben kann", und fordert eine
Abkehr vom Glauben: „Sie können ein Atheist sein, der glücklich, ausgeglichen,
sittlich und geistig ausgefüllt ist."
Nicht nur in der rappelvollen Kirche zu Cambridge (in der
Buchautoren regelmäßig öffentlich lesen), sondern auch andernorts finden
unerwartet viele Menschen diese Botschaft bedenkenswert. Dawkins' Kampfschrift
wider den Glauben trifft einen Nerv: Sie erscheint in einer Zeit, in der sich
die Weltreligionen feindselig gegenüberstehen. Das Buch hat auf Anhieb die
Bestsellerlisten in Großbritannien, Kanada und den USA gestürmt. In den
kommenden Wochen wird der Autor eine Lesereise von der amerikanischen Ostküste
bis nach Kalifornien unternehmen.
In der Nation zwischen
Atlantik und Pazifik gibt es für Professor Dawkins zu missionieren wie in
keinem zweiten Land der westlichen Welt. Einer aktuellen Umfrage der
Zeitschrift „Newsweek" zufolge glauben 92 Prozent der US-Amerikaner an
einen Gott. Zugleich ist die Präsidentschaft George W. Bushs die „erste
glaubensorientierte Regierung in der amerikanischen Geschichte", wie es
der Historiker Arthur Schlesinger ausgedrückt hat.
Mit Gottes Beistand hat
Bush sein Land nicht nur in einen verlorenen Krieg gegen den Irak geführt. Auch
der in der Welt aufblühende AntiAmerikanismus ist zu einem Gutteil darauf
zurückzuführen, dass viele die Unbelehrbarkeit des nach eigener Einschätzung
„wiedergeborenen Christen" nicht mehr verknusen können.
Dass mit Dawkins der
schärfste Kritike aus dem liberalen Oxford kommt, ist kein Zufall. Und doch ist
der Engländer beileibe nicht der einzige Naturwissenschaftle der neuerdings die
Gefahren und Absurditäten religiöser Überzeugungen offenlegt und sich in die
Politik einmischt.
Nur einen Tag nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 machte sich Sam Harris, ein Doktorand der
Neurowissenschaft an der University of California in Los Angeles, daran, ein
ketzerisches Buch zu schreiben: Die großen Weltregionen seien miteinander
schlichtweg nicht zu vereinen, sie würden unweigerlich Konflikte schüren und
„das Aufkommen einer brauchbaren Welt-Zivilisation verhindern".
Grauenhaft seien die
Zustände in seiner Heimat, befand Harris; es sei schlichtweg tabu, den Glauben
eines Mitbürgers zu kritisieren - mit fatalen Folgen: Menschen, die sonst
eigentlich normal seien könnten „die Früchte des Wahnsinns ernten und dies als
heilig betrachten".
Als Beispiele lassen sich
junge Muslime anführen, die Flugzeuge in Hochhäuser fliegen oder amerikanische
Christen die Abtreibungskliniken in Luft jagen. Aus Harris' Sicht waren da
mitnichten Extremisten am Werk, die ihre Religion nur falsch verstanden haben.
Ganz im Gegenteil: Sie hätten sich nur an den Wortlaut ihrer jeweiligen
heiligen Schriften gehalten. Denn diese seien nun einmal Anthologien von
Gewalt, Racheakten und Dekreten, denen zufolge Ungläubige sterben müssen.
Sam Harris, inzwischen
39, konnte lange Zeit keinen Verleger finden. Und selbst als der New Yorker
Verlag Norton einwilligte, sein Manuskri 2004 zu veröffentlichen, waren laut
Harris einige Lektore nicht bereit, sich mit ihm treffen.
Im Volk indes stieß
Harris mit seinem Erstlingswerk auf großes Interesse. „The End of Faith"
(„Das Ende des Glaubens") hat bisher 270 000 Exemplare in den USA verkauft
und läuft auch als Taschenbuch glänzend. Im soeben erschienenen Nachfolgebuch,
das ebenfalls in den US-Bestsellerlisten geführt wird, stichelt Harris
weiter***. Organisierte Religionen vergleicht er mit Vergewaltigungen. Wenn es
in seiner Macht läge, die Welt von einem dieser zwei Dinge zu befreien, erklärt
Harris, dann „zögerte ich nicht, die Religion abzuschaffen".
Doch warum haben so gut
wie alle Menschenvölker Religionen? Den nun aufbegehrenden Atheisten zufolge
ist die Hinwendung zum Übernatürlichen ein Nebenprodukt der Evolution. Der
Philosoph Daniel Dennett, 64, von der Tufts University in Medford,
Massachusetts, vermutet: Unsere Gehirne seien durch die Evolution so gestrickt,
dass religiöse Storys sich unter Menschen ausbreiten wie erfolgreiche
biologische Arten.
Gerade die Gehirne von
Kindern seien für religiöse Inhalte besonders empfänglich, glaubt Dawkins:
Sprösslinge, die ihren Eltern brav gehorchen, haben demnach einen Vorteil in
der natürlichen Auslese. Folglich seien Kleinkinder von Natur aus darauf
programmiert, elterliche Anweisungen nicht weiter zu hinterfragen. Dawkins
schreibt: „Das Kind kann nicht wissen, dass ´Paddel nicht im
krokodilverseuchten Limpopo-Fluss` ein guter Ratschlag ist, dass aber ´Du musst
eine Ziege bei Vollmond opfern, da sonst der Regen ausbleibt` bestenfalls eine
Verschwendung von Zeit und Ziegen ist." Die Empfänger des widersinnigen
Ratschlags gäben diesen später an die eigenen Kinder weiter.
Die Folge dieser Unsinnslawine:
Die mit religiösem Gedankengut infizierten Menschen sind mit rationalen
Argumenten kaum mehr zu erreichen und kennen keine Selbstzweifel mehr. „Die
Vermessenheit tiefreligiöser Menschen", urteilt Philosoph Dennett, „ist
die gefährlichste Sache in der heutigen Welt."
Den Präsidenten George W.
Bush und den Terrorchef Osama Bin Laden stecken die Atheisten Dennett und
Dawkins in eine Schublade: beide auf der Seite des Glaubens und der Gewalt;
beide gegen die Seite der Vernunft und des Diskurses.
Ihre eigene
Weltauffassung schöpfen Philosoph Dennett und Zoologe Dawkins aus der
Evolutionstheorie, die sie in zahlreichen Büchern weiterentwickelt haben.
Richard Dawkins wurde in der ganzen Welt bekannt, als er 1976 sein Buch „Das
egoistische Gen" vorlegte: Anders als bis dahin vom Gänseforscher Konrad
Lorenz (1903 bis 1989) behauptet, gehe es in der Evolution keinesfalls nur um
die Erhaltung der biologischen Art. Vielmehr sei das Gen die treibende Kraft
der Selektion. Es benutze den Körper bloß, um sich zu vermehren. Das bedeutet:
Sämtliche Tiere - und damit natürlich auch alle Menschen - sind reine
Überlebensmaschinen für eigennützige, egoistische Gene.
Durch eine Vielzahl
weiterer Bestseller wurde Dawkins zum einflussreichsten Biologen seiner Zeit,
wobei ihn die Auswirkung der Evolutionstheorie auf die Religion zunehmend
fesselte. Das Vorhandensein von komplexem Design in der belebten Welt war
Tausende Jahre der Grund dafür, dass Menschen überhaupt an einen Designer, an
einen göttlichen Schöpfer glaubten - wie sonst sollte das Auge des Adlers, das
Winterfell des Schneehasen entstanden sein?
Doch dann erkannte der
britische Naturforscher Charles Darwin (18o9 bis 1882) den Mechanismus der
natürlichen Auslese: Das Design in der belebten Natur entsteht in Wahrheit
durch die seelenlosen Kräfte der Evolution. Aus simplen Amöben können so im
Laufe von Millionen Jahren hochkomplexe Säugetiere entstehen. Erst mit dem
Wissen um Darwins Entdeckung, so erkannte Richard Dawkins, sei es einem
Menschen möglich, ein Leben als „intellektuell erfüllter Atheist" führen
zu können.
Auch die Vorstellung,
Seele und Körper des Menschen seien getrennte Einheiten, ist inzwischen durch
Erkenntnisse der Neurobiologie überholt. Gedanken entstehen aus Molekülen,
Proteinen, Enzymen. „Wir Menschen mögen eine Seele haben", sagt Philosoph
Dennett, „aber sie besteht aus vielen kleinen Robotern."
Die beiden Darwinisten
belassen es nicht dabei, Gott die Existenzgrundlage abzusprechen. Sie geißeln
auch den „Glauben an den Glauben", wie ihn so viele Menschen hegen: Selbst
wenn es gar keinen Gott gebe, so die verbreitete Überzeugung, sei die Religion
nützlich, weil sie den Menschen moralische Werte aufzeige.
Genau dieses Argument
knöpft sich Dawkins in seinem neuen Buch vor. Er hält es nicht nur deshalb für
abwegig, weil im Namen der Religion so viel Blut geflossen ist. Dem Zoologen
zufolge sind es die Gesetze des Darwinismus selbst, die erklären, warum sich
die meisten Menschen durchaus moralisch verhalten. Im Tierreich fänden sich
viele Beispiele für Selbstlosigkeit („Altruismus").
Bestimmte Ameisen,
Termiten, Bienen und Wespen beispielsweise opfern sich für Artgenossen auf. Die
darwinistische Begründung: Die Helfer und jene, die sich helfen lassen, sind
eng verwandt. Auf den Menschen übertragen, würde das bedeuten: Anstatt ein
eigenes Kind aufzuziehen, kümmert man sich um ein Dutzend Nichten und Neffen -
und verhilft auch so vielen eigenen Erbanlagen in die nächste Generation.
Überdies finden sich in der
belebten Natur zahlreiche Beispiele für „reziproken Altruismus": Helf ich
dir, hilfst du mir. Genau so verhalten sich etwa Vampirfledermäuse. Sie teilen
Blut mit hungrigen Artgenossen (indem sie es hervorwürgen) - merken sich aber
genau, von wem sie beim letzten Mal selbst etwas abbekommen haben. Diejenigen
Individuen, die fair teilen, verhungern nicht und können sich fortpflanzen.
Ganz ähnlich, glaubt
Dawkins, muss es unter prähistorischen Menschen zugegangen sein. Sie lebten in
überschaubaren Sippen und halfen sich gegenseitig. Wie auch den Sexualtrieb
habe die Evolution die Selbstlosigkeit in das Gehirn des Menschen gestanzt.
Diese Gefühle sind demnach auch in heutigen Menschen aktiv und erklären, warum
Menschen fremde Kinder adoptieren und voller Liebe aufziehen.
Der Evolutionspsychologe Marc Hauser von der Harvard University
hat das Moralverhalten von gläubigen und ungläubigen Menschen unterschiedlicher
Kulturkreise untersucht und kommt zu dem Schluss: Alle Menschen verfügten über
eine „universelle moralische Grammatik, eine Fähigkeit des Geistes, die im
Laufe von Millionen Jahren" entstanden sei - durch die Evolution, ganz
ohne göttliches Zutun.
Die Befunde der
Darwinisten sind die neueste Munition in einem Kulturkampf, der in den USA
heftiger denn je zwischen Ratio und Religion tobt. Die Anschläge vom 11.
September haben die Gewichte zugunsten der christlichen Fundamentalisten
verschoben.
Einer Gallup-Umfrage vom
vergangenen Oktober zufolge sind 53 Prozent aller US-Bürger sogenannte Kreationisten:
Sie gehen davon aus, dass die Erde vor 6000 Jahren entstanden ist - während die
Naturwissenschaft das Alter auf 4,6 Milliarden Jahre schätzt. Richard Dawkins
offenbart das Ausmaß des Fehlers durch einen geografischen Vergleich: „Es ist
so", feixt er, „als ob man glaubte, New York City und San Francisco seien
700 Yards entfernt."
Doch wer in den USA gegen
solchen Unsinn ankämpft und sich gar als Nichtgläubiger outet, gehört zu einer
geächteten Minderheit. Autor Sam Harris erscheint zu öffentlichen Auftritten
mit einem Leibwächter. Philosoph Dennett erhält Woche um Woche Briefe von
christlichen Mitbürgern, die ihn darin buchstäblich zur Hölle wünschen.
Post kommt auch von
Menschen, die vom Glauben abgefallen sind, das jedoch aus Angst vor Repressalien
verschweigen. Typisch ist Dennett zufolge ein Briefeschreiber, der im Mittleren
Westen eine Reinigung besitzt. Der Mann fühlt sich als Atheist, tut aber
religiös, damit seine Kundschaft nicht wegbleibt.
Gerade einmal 37 Prozent
der US-Bürger können sich laut der „Newsweek"-Umfrage vorstellen, einen
nichtgläubigen Kandidaten ins Präsidentenamt zu wählen. Die Soziologin Penny
Edgell von der University of Minnesota in Minneapolis sagt: „Weite Teile der
amerikanischen Öffentlichkeit sehen Atheisten als Bedrohung der amerikanischen
Lebensart." So sind bekennende Nichtgläubige in den USA kaum zu finden:
300 Millionen Menschen leben in dem Land, ganze 2500 von ihnen zählen zum
Verbund der „American Atheists".
Doch Richard Dawkins
hofft, diesen Kreis deutlich zu vergrößern. Und tatsächlich: Seine
Wanderpredigt kommt beim Publikum gut an. Nach dem Vortrag in Cambridge
applaudieren die Menschen hingerissen, und ein junger Mann tritt vor ihn hin.
„Danke, dass Sie zu uns gekommen sind", ruft er und fragt dann: „Darf ich
eine Umarmung von Ihnen haben?" Indigniert weicht der englische Professor
zurück. So weit geht sein missionarischer Eifer dann auch wieder nicht.
JÖRG BLECH
** Richard
Dawkins: „The God Delusion". Bantam Press, London; 416 Seiten; 28,95 Euro.
*** Sam Harris:
„Letter to a Christian Nation". Verlag Alfred A. Knopf, New York; 104 Seiten; 12,95 Euro.